Ein Verkehrsunfall ist eine Situation, die niemand erleben möchte – doch sie passiert täglich tausendfach auf deutschen Straßen. Oft reicht ein kurzer Moment der Unaufmerksamkeit, schlechte Sicht oder ein riskantes Überholmanöver, und es kracht.
Für die Betroffenen ist ein Unfall fast immer ein Schock. Adrenalin, Unsicherheit und manchmal auch Panik erschweren klares Denken. Gerade in diesem Moment ist es jedoch entscheidend, die richtigen Schritte zu kennen. Wer vorbereitet ist, kann die Situation besser meistern, sich und andere schützen und die Grundlage für eine reibungslose Schadenregulierung schaffen.
In diesem Leitfaden erkläre ich Ihnen Schritt für Schritt, wie Sie sich nach einem Crash verhalten sollten – von den ersten Sekunden am Unfallort bis hin zur professionellen Begutachtung des Schadens.
1. Ruhe bewahren – leichter gesagt als getan
Die wichtigste Sofortmaßnahme nach einem Unfall ist nicht technischer Natur, sondern psychologischer: Ruhe bewahren.
Viele Betroffene schildern später, dass sie im ersten Moment gar nicht wussten, was sie tun sollten. Manche steigen sofort aus und laufen unbedacht auf die Fahrbahn, andere bleiben wie erstarrt sitzen. Beides ist gefährlich.
Stattdessen sollten Sie sich bewusst einen Augenblick nehmen: Atmen Sie tief ein, zählen Sie innerlich bis drei und machen Sie sich klar: Jetzt ist besonnenes Handeln gefragt. Erst wenn Sie selbst wieder einigermaßen gefasst sind, können Sie die nächsten Schritte sicher und richtig angehen.
2. Unfallstelle sichern – Eigensicherung hat Vorrang
Bevor Sie sich um Schäden oder Schuldfragen kümmern, gilt: Eigensicherung zuerst. Viele schwere Folgeunfälle passieren nicht beim eigentlichen Crash, sondern in den Minuten danach, weil die Unfallstelle nicht ausreichend gesichert wurde.
- Warnblinker einschalten, sobald es möglich ist.
- Warnweste anlegen, bevor Sie das Fahrzeug verlassen. Das erhöht Ihre Sichtbarkeit enorm.
- Vorsichtig aussteigen. Achten Sie auf den Verkehr und steigen Sie – wenn möglich – auf der von der Fahrbahn abgewandten Seite aus.
- Warndreieck vor sich her tragen. So werden Sie von herannahenden Fahrern früher wahrgenommen, während Sie das Dreieck zum Aufstellort bringen.
- Warndreieck richtig platzieren. Innerorts etwa 50 m, auf Landstraßen ca. 100 m, auf Autobahnen je nach Verkehrstempo 200–400 m. Gehen Sie beim Aufstellen stets am äußersten Fahrbahnrand entlang.
- Verkehr im Blick behalten. Beobachten Sie die Fahrbahn aufmerksam und seien Sie im Notfall bereit, mit einem Sprung zur Seite auszuweichen.
Praxis-Tipp: Auf Autobahnen ist besondere Vorsicht geboten. Halten Sie ausreichend Abstand zur Fahrbahn, bewegen Sie sich ruhig und konzentriert und denken Sie immer an Ihre eigene Eigensicherung – nur wenn Sie selbst geschützt sind, können Sie anderen helfen.
3. Erste Hilfe leisten – Pflicht und Menschlichkeit
Wenn Personen verletzt sind, zählt jede Sekunde. In Deutschland ist jeder gesetzlich verpflichtet, Erste Hilfe zu leisten. Viele Menschen haben Angst, etwas falsch zu machen – doch diese Sorge ist unbegründet. Schlimmer ist es, gar nichts zu tun.
- Notruf 112 absetzen. Halten Sie sich an das Schema „Wo? Was? Wie viele? Welche Verletzungen? Warten auf Rückfragen.“
- Verletzte in Sicherheit bringen. Wenn möglich, bringen Sie sie weg von der Fahrbahn bzw. weg aus dem unmittelbaren Gefahrenbereich. Beachten Sie unbedingt: Bringen Sie sich selbst nicht in Gefahr! Nur ein unversehrter Ersthelfer kann helfen!
- Lebensrettende Sofortmaßnahmen. Stabile Seitenlage, Herzdruckmassage, Blutstillung – die Grundlagen sind oft schon im Erste-Hilfe-Kurs vermittelt worden.
Ein kleiner Hinweis: Selbst wenn Ihr Erste-Hilfe-Kurs schon Jahre zurückliegt, gilt für Sie keine Ausrede. Der Gesetzgeber erwartet Hilfe – und Gerichte werten auch unsichere Versuche positiv.
Extra-Tipp: Wenn Sie beim Lesen dieser Zeilen merken, dass Sie kaum noch wissen, wie die stabile Seitenlage funktioniert, wie man einen Druckverband anlegt oder wie eine Herzdruckmassage korrekt durchgeführt wird, dann ist es höchste Zeit, Ihr Wissen aufzufrischen. Freiwillige Erste-Hilfe-Kurse werden regelmäßig von verschiedenen Organisationen angeboten – zum Beispiel vom Deutschen Roten Kreuz (DRK), den Johannitern, den Maltesern oder dem Arbeiter-Samariter-Bund (ASB). Ein solcher Kurs gibt Ihnen Sicherheit und kann im Ernstfall über Leben und Tod entscheiden.
4. Polizei rufen – wann es sinnvoll ist
Nicht in jedem Fall muss die Polizei kommen, aber häufig ist es ratsam.
- Unbedingt rufen sollten Sie die Polizei:
- bei Verletzten
- bei Fahrerflucht
- bei aggressivem Verhalten des Unfallgegners
- bei erheblichem Sachschaden
- Entbehrlich ist die Polizei:
- bei kleinen Blechschäden ohne Streit
- wenn sich beide Parteien einig sind und die Daten austauschen
Ein Beispiel: Streifen Sie beim Einparken ein anderes Fahrzeug und der Halter ist vor Ort, reichen Fotos und der Austausch der Daten. Wenn aber Alkohol im Spiel ist oder die Schuldfrage unklar bleibt, ist die Polizei die sicherste Lösung.
Praxis-Tipp: Aus Erfahrung zeigt sich, dass bereits eine mündliche oder kostenpflichtige Verwarnung durch die Polizei häufig dazu führt, dass die gegnerische Versicherung das schuldhafte Verhalten ihres Versicherungsnehmers anerkennt. Dadurch entfällt oftmals eine aufwendige Beweisführung, und die Schadenregulierung verläuft schneller und unkomplizierter.
5. Beweise sichern – Grundlage für die Regulierung
Die sorgfältige Sicherung von Beweisen ist ein entscheidender Schritt, um den Unfallhergang nachvollziehbar zu dokumentieren und eine faire Schadenregulierung zu gewährleisten.
Im Zeitalter der Smartphones trägt nahezu jeder eine hochwertige Kamera in der Hosentasche. Nutzen Sie diese Möglichkeit: Fotografieren Sie lieber zu viel als zu wenig. Digitale Aufnahmen kosten nichts – aber sie können später Gold wert sein.
Wichtig: Lassen Sie sich beim Sichern der Beweise nicht hetzen. Sie müssen sich nicht den halben Tag Zeit nehmen, aber es ist sinnvoll, die Unfallstelle in Ruhe einmal zu umrunden und die gesamte Situation aus allen Blickwinkeln zu fotografieren. Erst danach sollten Sie in die Details gehen.
Worauf Sie achten sollten:
- Übersichtsaufnahmen
- gesamte Unfallstelle aus mehreren Richtungen
- Endlagen aller Fahrzeuge
- Straßenverlauf, Kreuzungen, Fahrspuren
- Verkehrszeichen, Ampeln, Baustellen
- Detailaufnahmen
- Schäden an Fahrzeugen (aus ca. 2 × 2 m Abstand – moderne Kameras sind hochauflösend genug)
- Bremsspuren, Glasscherben, Trümmerteile/-felder
- ausgetretene Flüssigkeiten (Öl, Kühlmittel)
- ausgelöste Airbags oder beschädigte Reifen
- Verortung von Spuren
- fotografieren Sie Bremsspuren oder Trümmer in Bezug auf feste Punkte (Leitpfosten, Fahrbahnmarkierungen, Bordsteine, Ausbesserungsstellen im Asphalt, Bäume etc.). So bleibt die Lage auch später nachvollziehbar.
- Umfeld dokumentieren
- Wetterbedingungen
- Lichtverhältnisse
- genaue Uhrzeit (steht meist in den Metadaten der Fotos)
- Skizze anfertigen
- Straßenverlauf und Fahrtrichtungen
- Aufprallpunkt und Endlagen
- ergänzende Angaben wie Straßennamen, Spuranzahl oder Besonderheiten (z. B. Überholvorgang, Baustelle).
Ergänzende Hinweise:
- Notieren Sie die vollständigen Daten aller Beteiligten (Name, Anschrift, Telefonnummer, Kennzeichen, Versicherung). Nutzen Sie dafür am besten den Europäischen Unfallbericht.
- Unterschreiben Sie niemals ein vorschnelles Schuldanerkenntnis.
- Halten Sie auch Zeugendaten fest – unabhängige Beobachter können entscheidend sein.
- Falls vorhanden: Dashcam-Aufnahmen sichern. Sie können als Beweismittel dienen. Aber: keine Veröffentlichung in sozialen Medien – datenschutzrechtlich unzulässig!
6. Austausch der Personalien
Nach deutschem Recht sind Unfallbeteiligte verpflichtet, ihre Daten auszutauschen. Dazu gehören:
- Name und Anschrift
- Kennzeichen
- Versicherungsgesellschaft
Am einfachsten geht es, wenn Sie Fotos von Fahrzeugschein und Versicherungskarte machen. Achten Sie darauf, dass auch Sie Ihre Daten übergeben – sonst droht der Vorwurf der Fahrerflucht.
7. Unfallmeldung bei der Versicherung
Vor einer Meldung an irgendeine Versicherung sollten Sie immer Rücksprache mit einem Gutachter und/oder einem Fachanwalt für Verkehrsrecht halten.
- Haftpflichtversicherung: Wenn Sie selbst keine Schuld sehen, besteht keine zwingende Meldepflicht. Eine vorsorgliche Meldung ist möglich, aber nicht verpflichtend.
- Kaskoversicherung: Bei Eigenschäden gelten die Bedingungen der Police. Auch hier gilt: Vorher Rücksprache halten.
8. Der Kfz-Gutachter – Ihr unabhängiger Partner
Ein Kfz-Sachverständiger ist Ihr wichtigster Partner nach einem Unfall. Er erstellt nicht einfach nur ein Zahlenwerk, sondern er fertigt ein Gutachten, das den Schaden objektiv und nachvollziehbar dokumentiert, Beweise sichert und damit die Grundlage für eine faire und transparente Schadenregulierung schafft.
Gerade wenn die Gegenseite versucht, den Schaden kleinzureden oder Ansprüche zu kürzen, sorgt ein unabhängiges Gutachten dafür, dass Ihre Interessen gewahrt bleiben. Es schützt Sie vor Nachteilen, liefert im Zweifel Beweissicherheit für ein späteres Verfahren und stellt sicher, dass Ihnen keine Position verloren geht.
Kurz gesagt: Der Gutachter ist Ihre Rückversicherung im Ernstfall.
9. Fachanwalt für Verkehrsrecht – nahezu immer sinnvoll
Die Einschaltung eines Fachanwalts für Verkehrsrecht ist in nahezu allen Unfallkonstellationen sinnvoll. Es geht nicht nur um strittige Fälle – selbst scheinbar einfache Schadenregulierungen sind rechtlich komplex.
Das OLG Frankfurt stellte in einem Urteil vom 01.12.2014 (Az. 22 U 171/13) klar:
„Auch bei einfachen Verkehrsunfallsachen ist die Einschaltung eines Rechtsanwalts von vornherein als erforderlich anzusehen. (…) Es erscheint geradezu fahrlässig, einen Schaden ohne Einschaltung eines Rechtsanwalts abzuwickeln.“
Damit ist klar: Wer auf anwaltliche Unterstützung verzichtet, handelt im Zweifel gegen seine eigenen Interessen.
10. Checkliste für den Ernstfall
- Ruhe bewahren
- Unfallstelle sichern (Eigensicherung)
- Erste Hilfe leisten, Notruf 112
- Polizei rufen
- Beweise sichern (Fotos, Skizze, Zeugen, Daten)
- Personalien austauschen
- Vor Meldung: Gutachter / Fachanwalt kontaktieren
- Gutachten beauftragen
- Fachanwalt für Verkehrsrecht beauftragen
Tipp: Diese Checkliste können Sie auch als Download zum Ausdrucken fürs Handschuhfach erhalten.
11. Häufige Fehler vermeiden
- vorschnelles Schuldeingeständnis
- ungesicherte Unfallstelle
- unzureichende Dokumentation
- kein Fachanwalt eingeschaltet
- kein Gutachten erstellen lassen – dadurch Verlust wertvoller Beweissicherung. Wenn es später, etwa nach Monaten oder Jahren, zu einem Rechtsstreit kommt, fehlt die Grundlage für eine erfolgreiche Anspruchsdurchsetzung.
12. Fazit
Ein Unfall ist immer eine belastende Erfahrung – sowohl emotional als auch organisatorisch. Doch mit einem klaren Plan lässt sich die Situation meistern.
Die wichtigsten Grundsätze:
- Eigensicherung – schützen Sie sich.
- Erste Hilfe leisten – schützen Sie andere.
- Beweise sichern – gründlich, umfassend und ohne Hektik.
- Unabhängigen Gutachter einschalten – für eine solide, beweissichere Basis.
- Fachanwalt beauftragen – für die rechtliche Durchsetzung Ihrer Ansprüche.
So stellen Sie sicher, dass Sie weder gesundheitlich noch finanziell unnötige Nachteile erleiden.
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